11.01.2023 - HHT 23/01 - Handwerk mit skeptischem Blick auf 2023Jahreskonjunkturbericht veröffentlicht
Hessisches Handwerk blickt skeptisch auf das Jahr 2023
Laut dem Konjunkturbericht des Hessischen Handwerkstages (HHT) startete das hessische Handwerk trotz hoher Infektionszahlen zum Jahreswechsel und des Ende Februar begonnen Ukraine-Kriegs gut ins Jahr 2022. Parallel zum Abflauen des Infektionsgeschehens kam es in den ersten beiden Quartalen des Vorjahres zu einer Belebung der Geschäftslage. Im Jahresverlauf wuchs allerdings trotz robuster Geschäftslage und Erholung in fast allen Handwerksbranchen vor dem Hintergrund der massiven Preissteigerungen bei Vorprodukten, Materialien und vor allem der explodierenden Energiekosten die Skepsis über die weitere Entwicklung. Im dritten und vierten Quartal wurde die bis dahin gute Entwicklung in fast allen Branchen gerade wegen der massiven Inflationsentwicklung und der hierdurch ausgelösten Kauf- und Konsumzurückhaltung deutlich abgebremst. HHT-Präsident Stefan Füll machte in Wiesbaden deutlich, dass sich das hessische Handwerk der allgemeinen schwierigen wirtschaftlichen Lage nicht mehr entziehen könne: „Viele Branchen im Handwerk schätzen die Geschäfts- und Auftragslage auch für dieses Jahr pessimistisch ein“, so Füll.
Laut Füll gab es zwischen den einzelnen Branchen große Unterschiede. Vor allem die personenbezogenen Dienstleister, das Gesundheitshandwerk, das Lebensmittelhandwerk und das Kfz-Handwerk befanden sich in schwierigem Fahrwasser. Die Bau- und Ausbauhandwerke meldeten trotz Einbußen noch eine vergleichsweise komfortable Situation. 2022 verzeichneten 88 Prozent der hessischen Handwerksbetriebe steigende Einkaufspreise und 60 Prozent der Betriebe konnten zumindest zum Teil höhere Preise durchsetzen.
„Noch sind die Auftragsbücher der Handwerksbetriebe gut gefüllt, eine wachsende Zahl von Betrieben rechnet aber mit einer Verschlechterung der wirtschaftlichen Situation im kommenden Jahr“, so der Handwerkspräsident. Vor allem die Bau- und Ausbaugewerke, seit Jahren verlässliche Zugpferde der Handwerkskonjunktur, dürften deutlich schwierigeren Zeiten entgegensehen. Es kommt schon jetzt vermehrt zu Stornierungen von Aufträgen, Bauvorhaben mit langfristigen Lieferzusagen werden angesichts der massiven Preissteigerungen zum Zuschussgeschäft und der enorme Zinsanstieg lässt viele Träume vom Eigenheim platzen und das von der Politik erklärte Ziel von 400.000 Neubauten pro Jahr rückt in weite Ferne. „Insgesamt ist ein seriöser, belastbarer Ausblick ins Jahr 2023 angesichts der großen wirtschaftlichen und politischen Unsicherheiten nicht möglich, sondern gleicht eher einem Blick in die Glaskugel“, so Füll.
Leichter Zuwachs bei Betriebszahlen
Mit Blick auf die Betriebszahlen meldet der HHT zum 31. Dezember 2022 insgesamt 77.638 Handwerksbetriebe in Hessen. Dies entspricht einer Zunahme von 530 Betrieben oder einem Plus von 0,7 Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum. Allerdings gibt es zwischen den einzelnen Handwerkszweigen erhebliche Unterschiede. Während die grundsätzlich meisterpflichtigen Berufe um 1,8 Prozent abnahmen, wuchs umgekehrt die Zahl der sog. zulassungsfreien und handwerksähnlichen Gewerbe um 6,3 bzw. 3,2 Prozent.
Anstieg der Energiekosten belastet Betriebe
Die Explosion der Öl- und Gaspreise und in der Folge auch für Strom und Wärme an den Energiemärkten habe bei vielen Betrieben zu einem enormen Anstieg ihrer Energiekosten geführt. Manche Versorgungsunternehmen haben zudem bestehende Verträge gekündigt. „Besonders betroffen“, so HHT-Vizepräsident Wolfgang Kramwinkel, „sind energieintensive Gewerke wie Textilreinigungen, Bäckereien, Konditoreien, Fleischereien, Brauereien, Galvaniseuren und Kfz-Werkstätten.“ Nur wenige Betriebe könnten die starken Kostenanstiege unmittelbar und umfassend an ihre Kunden weitergeben. Die von der Bundesregierung in Bundestag und Bundesrat eingebrachten Entlastungsinitiativen (Gas- und Strompreisbremse) seien wichtige Maßnahmen zur Sicherstellung der Liquidität von Unternehmen und Handwerksbetrieben. Kramwinkel: „Allerdings sollten die von der Bundesregierung angekündigten Härtefallhilfen für betroffene energieintensive Betriebe so ausgestaltet sein, dass die Zeitspanne bis zum tatsächlichen Start der Energie- und Strompreisbremsen von Betroffenen überbrückt werden kann.“ Der HHT-Vizepräsident begrüßte in diesem Zusammenhang, dass es in Hessen das Mikrodarlehen Energie gebe. Dies werde hoffentlich einigen kleineren Betrieben helfen.
Sorge bereitet Kramwinkel der Anstieg der Sozialversicherungskosten. Im neuen Jahr werde bei den Sozialversicherungsabgaben die Grenze von 40 Prozent erstmals überschritten. Dies belaste das personalintensive Handwerk, in dem die Personalkosten bis zu 80 Prozent der Gesamtkosten ausmachten, überproportional. „In diesen schwierigen Zeiten ist das ein völlig falsches Signal“, so Kramwinkel. Wenn durch steigende Sozialversicherungsbeiträge der Faktor Arbeit weiter belastet wird, begünstigt dies fatalerweise auch Schwarzarbeit und unberechtigte Handwerksausübung.
Der HHT-Vizepräsident geht davon aus, dass angesichts unsicherer Zukunftsaussichten und deutlicher Bremsspuren der Handwerkskonjunktur künftig öffentliche Aufträge wieder größere Bedeutung gewinnen. Vor diesem Hintergrund sprach er sich dafür aus, dass auch Hessen wie bereits der Bund das Instrument der Preisgleitklauseln um mindestens bis zur Jahresmitte verlängern solle.
Fehlende Berufsorientierung erschwert Nachwuchsgewinnung
Nach der offiziellen Statistik im Erhebungszeitraum vom 1. Oktober 2021 bis zum 30. September 2022 konnte das hessische Handwerk 9.376 neu eingetragene Lehrverträge verzeichnen. Dies entspricht einem Minus von 136 Lehrverträgen bzw. -1,4 Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum. Nach Angaben von HHT-Geschäftsführer Bernhard Mundschenk wird damit das Niveau vor der Corona-Pandemie um fast 1.000 Lehrverträge unterschritten. Erfreulich sei jedoch umgekehrt, dass die Zahl der bestandenen Meisterprüfungen im Jahr 2022 um rund 125 erfolgreiche Absolventen auf mehr als 1.680 Meisterprüfungen habe gesteigert werden können.
Ursächlich für den schon seit Jahren festzustellenden Rückgang der Zahl der neu abgeschlossenen Lehrverträge im gesamten dualen Ausbildungssystem ist vor allem ein veränderndes Bildungsverhalten und die hohe Studierneigung. Schon jetzt fehlten bundesweit mehr als 250.000 Fachkräfte im Handwerk und heruntergebrochen auf Hessen sind dies gut 15.000 Fachkräfte. Dieser Trend müsse dringend gestoppt werden. Die Sicherung des Fachkräftebedarfs bei beruflich Qualifizierten sei die zentrale Zukunftsaufgabe, andernfalls seien die Transformationsziele der Politik wie Nachhaltigkeit, Ressourcenschonung, Energieversorgung und –effizienz, Elektromobilität, aber auch der Ausbau der allgemeinen Infrastruktur nicht zu realisieren. Notwendig sei eine echte Bildungswende für eine Gleichwertigkeit von akademischer und beruflicher Bildung sowie eine flächendeckende und schulformübergreifende handwerkliche Berufsorientierung gerade auch an Gymnasien. Mundschenk sprach sich weiterhin für die Etablierung eines Freiwilligen Jahres im oder mit dem Handwerk sowie eine verbesserte Zuwanderung beruflich Qualifizierter aus.